Konzepte und Definitionen im Modul Auswahlverfahren
A)
Grundlagen der Datenauswahl
Bezugspunkt
der Datenerhebung ist die Grundgesamtheit (GG) oder
Population, d.h. die Menge der Objekte, auf die sich die
Aussagen der Untersuchung beziehen sollen („angestrebte
Grundgesamtheit“). Sie muß im Rahmen des
Operationalisierungsprozesses exakt definiert und raum-zeitlich
eingegrenzt werden.
So
umfasst der ALLBUS in seinen Erhebungen „alle Personen, die zum
Zeitpunkt der Befragung in Deutschland in Privathaushalten leben und
spätestens in einem bestimmten Jahr geboren sind“. Auf der
Basis dieser Grundgesamtheit wird der Auswahlplan festgelegt. Er kann
die folgenden Selektionsformen annehmen:
1.
Auswahlverfahren
Wenn
alle Elemente einer GG untersucht werden, spricht man von einer Voll-
(Total)erhebung. Alle Objekte im Definitionsbereich sind dann
Erhebungseinheiten.
Von
einer Teilerhebung spricht man, wenn nur eine Teilmenge aus
der GG untersucht wird. Hierbei gibt es folgende Varianten:
-
Für
die willkürliche Auswahl gibt es keine feste Regel. I.
A. ist sie nicht zu empfehlen, da die daraus gezogenen Schlüsse
auf die Grundgesamtheit ebenso willkürlich sind.
-
Die
systematische Erhebung einer Teilmenge nennt man
Stichprobe(StPr). Mit ihr werden wir uns im Folgenden genauer
auseinander setzten. Auch hier gibt es mehrere Varianten:
-
Eine
Wahrscheinlichkeitsauswahl (Zufallsstichprobe) liegt vor,
wenn der Erhebungsplan jedem Element der Grundgesamtheit die gleiche
Chance gibt, einbezogen zu werden.
-
Eine
bewußte Auswahl ist gegeben, wenn die Objektauswahl
nach vorab festgelegten und aus der Zielsetzung der Erhebung heraus
zu begründenden Kriterien oder Vorgehensweisen erfolgt.
Die
Vor- und Nachteile der jeweiligen Erhebungsformen sind in Tab. 3-.
einander gegenübergestellt:
Tabelle
3-20 : Vor- und Nachteile von Voll- und Teilerhebungen
2.
Under- und Overcoverage
Abweichend
von der definierten Grundgesamtheit oder der definierten Stichprobe
kann es bei der praktischen Durchführung der Erhebung zu einer
sog. Under- oder Overcoverage kommen. Diese ergibt sich, wenn
zugehörige Elemente nicht einbezogen werden oder wenn Elemente
bei der Auswahl zum Zuge kommen, die definitorisch ausgeschlossen
sind (vgl. Abb. 3- ):
Abbildung
3- 21: Under – bzw. Overcoverage der Auswahlgesamtheit
B.
Möglichkeiten der Stichprobenauswahl
Einen
sehr guten Überblick über die verschiedenen Formen und
Aspekte einer systematischen Auswahl der Erhebungseinheiten geben die
beiden folgenden Schaubilder von Schnell/Hill/Esser (
)
Abbildung
3-22 : Übersicht über die Auswahlverfahren nach
Schnell/Hill/Esser
Abbildung
3- 23: Übersicht über die Zufallsstichproben nach
Schnell/Hill/Esser
Eine
sehr prägnante graphische Veranschaulichung der verschiedenen
Aspekte der Schichtung und Stufung einer Zufalls-Stichprobe
findet sich bei Bortz/Döring (1995, S. 375 ff)
Abbildung
3- 24: Ziehung einer einfachen Zufallsstichprobe nach Bortz/Döring
Die
hier ausgewiesene Form der Verwendung eines mathematischen,
rechnergestützten Verfahrens zur Erzeugung von Zufallszahlen
stellt eine Möglichkeit dar, jedem Element die gleiche
Erfolgswahrscheinlichkeit zu garantieren. Eine einfachere und in der
Praxis leichter zu realisierende, aber genauso zulässige Form
stellt eine systematische Auswahl mit Zufallstart dar. Bei einer 10%
- Auswahl z. B. wird zufällig eine Startzahl zwischen 1 und 10
ausgewählt und danach jedes 10te Element einbezogen.
Abbildung
3- 25: Ziehung einer geschichteten Zufallsstichprobe nach
Bortz/Döring
Eine
Schichtung der Auswahlliste liegt dann vor, wenn die Elemente vorher
nach bekannten Eigenschaften geordnet werden. Bei einer zufälligen
Auswahl von 10% aller Studierenden (mit Zufallstart) garantiert eine
Ordnung etwa aufgrund von Angaben aus dem Immatrikulationsamt (nach
Studienfach, Semesterzahl, Geschlecht, Alter usw.), dass die in der
GG gegebenen Strukturen in der Stichprobe reproduziert werden. Bei
einer einfachen Zufallsauswahl (wie oben) ist es durchaus möglich
dass die zufällig gezogenen Studierenden aus nur wenigen
Studienfächern kommen oder ander Merkmale überrepräsentativ
oft vorkommen.
Abbildung
3- 26: Ziehung einer Klumpenstichprobe nach Bortz/Döring
Als
Klumpung wird eine räumlich, zeitlich oder sachlich
zusammenhängende Menge von Elementen bezeichnet. Die zufällige
Auswahl von Klumpen hat den Vorteil jeweils eine größere
Menge von Objekten/Personen ohne zusätzlichen Aufwand
nacheinander erheben zu können, also eine ganze Familie,
Schulklasse, alle Bewohner eines Hauses oder gar eines Straßenzuges
in einer Flächenstichprobe (z.B. im Mikrozensus).
Abbildung
3- 27: Ziehung einer zweistufigen Zufallsstichprobe nach Bortz/Döring
Dieses
Auswahlmodell kombiniert die Vorteile der Klumpung und Schichtung und
ist die bevorzugte Form der großen Bevölkerungsumfragen
(vgl. dazu konkret die Beispiele der ADM-Stichprobe
und des Mikrozensus im nächsten Arbeitsschritt).
C)
Die Ausschöpfungsquote
Ein
großes bei jeder Erhebung, ob Totalerhebung oder Stichprobe
sind die Ausfälle und Verweigerungen. In der Regel kann von
einem guten bis sehr guten Rücklauf gesprochen werden, wenn eine
Rücklaufquote von ca. 70% zu erwarten ist. Problematisch an
einer zu geringen Ausschöpfung sind vorallem die systematischen
Ausfälle durch Verweigerung, weil sie den Zufallscharakter der
Stichprobe konterkarrieren, dies vor allem, wenn die Verweigerungen,
wie in der Regel, in bestimmten Personengruppen in Überzahl
vorkommen. In Bevölkerungsumfragen trifft dies vor allem auf
ältere, wohlhabendere, aber auch ärmere Bevölkerungsteile
zu.
Schaubild
3- 19: Neutrale und systematische Ausfälle
Aus
diesen Gründen ist es ratsam, bei der Datenerhebung wirksame
Maßnahmen zur Erhöhung der Ausschöpfungsquote
zu ergreifen. In der Literatur finden sich dazu für die
einzelnen Erhebungsformen jeweils spezifische Vorschläge:
1.
für postalische Befragungen
-
der
„Einsatz von monetären Incentives beim Erstversand der
Befragungsunterlagen“,
-
der
Einsatz der Total-Design-Methode nach Dillman (u.a. Einsatz von
Incentives; bis zu 3 Mahn-/Erinnerungsaktionen) und
-
eine
Thematik, die eine größere Betroffenheit und/oder
größeres Interesse wecken muss, als bei einer
telefonischen und persönlich-mündlichen Befragung.
Wie
wirken materielle Anreize (Incentives)? wenn sie
-
vor
der Befragung gewährt („prepaid“) statt nur in
Aussicht gestellt, d.h. versprochen („promised“) werden?
: Besser, denn in Aussicht gestellten Incentives wirken in der Regel
eher nicht.
-
es
sich um einen Geldbetrag oder um ein Geschenk handelt? : Letzteres
scheinen in der Regel nicht oder nur marginal zu wirken.
-
es
sich um einen größeren statt einen kleineren Geldbetrag
handelt? : Auch ein mittlerer Geldbetrag (bzw. dessen symbolische
Bedeutung) ist bereits besonders wirksam.
2.
für persönlich/mündliche (face-to-face) Befragungen
-
qualifizierte
Schulung der Interviewer, daraus resultierend:
-
ein
qualifiziertes Interviewerverhalten vor und während der
Befragung,
-
ein
bestimmter Interviewertyp („little old ladies“),
-
erfahrene
Interviewer mit positiver Erwartung an die Arbeit und mit dem
Glauben an die eigenen Fähigkeiten,
-
flexible
Interviewer, die sich vor allem in der Kontaktphase den
unterschiedlichen Zielpersonen angemessen präsentieren und die
-
subjektive
Bedeutsamkeit (salience) der Thematik
3. für
telefonische Befragungen
-
der
Einsatz eines relativ kurzen, aber informativen
Vorankündigungsschreiben,
-
ein
gut formulierter Gesprächseinstieg,
-
eine
möglichst hohe Anzahl von Kontaktversuchen zu unterschiedlichen
Tagen und Tageszeiten, wobei sich die Zeiten zwischen 17 und 21 Uhr
an Werktagen und die Nachmittage des Wochenendes als besonders
geeignet erweisen und
-
Charakteristika
der Sprache des Interviewers, u.a. lautes, angemessen schnelles
Sprechen (standard pronunciation: Spracheigenschaften selbstsicherer
und kompetenter Personen)
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