Konzepte und Definitionen im Modul Die Inhaltsanalyse
A) Aufgaben und
Ansätze der Inhaltsanalyse
Die empirische Inhaltsanalyse ist
neben dem Interview ein weiteres sehr gebräuchliches Verfahren
der empirischen Forschung. Welche Zielsetzungen und Verfahren mit
diesem Begriff verbunden sind, soll an den folgenden Zitaten aus der
Fachliteratur entfaltet werden
Eine klassische
Aufgabenbeschreibung gibt Berelson
(Content analysis in communication research, 1952, S. 18) :„Inhaltsanalyse
ist eine Forschungstechnik zur objektiven, systematischen und
quantitativen Beschreibung des manifesten Inhalts von
Kommunikation“. Dabei gilt: „...that
the categories of analysis should be defined so precisely that
different analysts can apply them to the same body of content and
secure the same results...“(S. 16) und„...all of the relevant content is to
be analyzed in terms of all the relevant categories for the problem at
hand and that analyses must be designed so secure date relevant to a
scientific problem or hypotheses...“(S. 17)
Nach Atteslander
(Methoden der empirischen Sozialforschung 1995, S. 238) ist die
Inhaltsanalyse „eine Methode der Datenerhebung zur Aufdeckung
sozialer Sachverhalte, bei der durch die Analyse eines vorgegebenen
Inhalts (z.B. Text, Bild) Aussagen über den Zusammenhang
seiner Entstehung, über die Absicht seines Senders,
über die Wirkung auf den Empfänger und/oder auf die
soziale Situation gemacht werden.“
Früh (Inhaltsanalyse,
2004, S. 25) definiert die Inhaltsanalyse als „...empirische
Methode zur systematischen, intersubjektiv nachvollziehbaren
Beschreibung inhaltlicher und formaler Merkmale von
Mitteilungen“.
Die Inhaltaltsanalyse ist somit
eine Forschungstechnik, mit der man aus jeder Art von
Bedeutungsträgern durch systematische und objektive
Identifizierung ihrer Elemente Schlüsse ziehen kann, die
über das einzelne analysierte Dokument hinaus
verallgemeinerbar sein sollen.
-
Systematisch heißt
Entwicklung eines Schemas, das einheitlich vorschreibt, nach welchen
Regeln welche Inhalte welcher Aussagekategorie zuzuordnen sind.
-
Intersubjektiv heißt
Ausschluss von subjektiven und willkürlichen Entscheidungen
des Vercoders aus dem Prozess des Codierens.
-
Objektiv ist ein Ergebnis dann,
wenn die Grundlagen eines einheitlichen, nachvollziehbaren und
dokumentierten Schemas deutlich und nachvollziehbar sind.
Die Inhaltsanalyse hat somit zur
Aufgabe, den „offenbaren“ (manifesten) Inhalt von
Mitteilungen zu erfassen. Dabei hat sie sich auf Elemente der Syntax
und der Semantik zu beschränken. Latente Intentionen, die im
Inhalt verborgen liegen mögen, sind nicht zu beachten.
Die inhalstanalytische Blickweise
auf den Mitteilungsprozess veranschaulicht Diekmann (2003, S. 484 ff.)
unter Verweis auf Lasswell Zielvorgabe für die
Kommunikationsforschung („Wer sagt Was zu Wem und mit welcher
Wirkung?“) in einem Sender-Empfängermodell
(vgl. Abb. 2-8)
Abbildung 2-8:
Inhaltsanalytische Sicht des Kommunkkationsprozesses nach Diekmann
Auf der Basis dieses
Kommunkkationsmodells formuliert er die folgenden drei wesentlichen
inhaltsanalytischen Zielsetzungen oder Inferenzen:
„
1. Formal-deskriptive
Analysen befassen sich mit den formalen Aspekten
eines Textes. Ziel kann z. B. die Typologie von Texten nach formalen
Kriterien oder die Berechnung von Indizes zur relativen
Häufigkeit bestimmter Zeichen oder Zeichenkombinationen sein.
2. Diagnostische
Analysen richten die Aufmerksamkeit auf die
Beziehung zwischen Sender und Mitteilung. Was möchte der
Produzent (Autor, Autorenkollektiv, Redaktion einer Zeitung etc.)
mitteilen und bewirken? Welche Werte fließen in den Text ein,
welche Werte repräsentiert der Sender?
3. Prognostische
Inhaltsanalysen beziehen sich auf die Erforschung
der Wirkungen von Mitteilungen bei den Rezipienten.
Beeinflußt die politische Richtung einer Zeitung die
Einstellung der Leser? Wie reagieren die Empfänger auf eine
Mitteilung? Verändern Werbetexte das Konsumverhalten ? Wird
die Mitteilung verstanden? Um die Auswirkungen zu ermitteln,
müssen zusätzlich externe baten erhoben werden. Die
Inhaltsanalyse selbst richtet sich ja nur auf die unabhängigen
Variablen, d. h. die Merkmale der Mitteilung, deren Wirkungen
untersucht werden sollen.“ (Diekmann; S. 486).
Die inhaltsanalytisch zu
erforschenden Objekte umfassen neben allen möglichen
schriftlichen Dokumenten (Vgl. Abb. 2-8) auch bildliche und akustische
Darstellungen.
Abbildung 2-9
Anwendungsgebiete der Inhaltsanalyse
B)
Ablauf einer empirischen Inhaltsanalyse
Im
Prinzip umfasst die Inhaltsanalyse mit den obigen Zielvorgaben die
üblichen Phasen einer empirischen Untersuchung, also die
-
Planungsphase
mit der Entwicklung der Forschungsfrage, der Abgrenzung des
Untersuchungsmaterials, der Festlegung der Stichprobe und der
Formulierung von Hypothesen.
-
Entwicklungsphase
mit der Erstellung des Kategoriensystems und der Festlegung der
Codierregeln.
-
Pre-Testphase
mit einer Probecodierung zur Überprüfung des
Kategoriensystems auf Intracoderreliabilität (gleiche
Ergebnisse für einen Vercoder bei mehrfachen Vercodungen des
gleichen Materials) und Intercoderreliabilität (gleiche
Ergebnisse bei Vercodungen des gleichen Materials durch mindestens zwei
Vercoder).
-
Anwendungsphase
mit der Datenerfassung und der Codierung.
-
Auswertungsphase
mit der Datenaufbereitung und der Datenanalyse incl. der
Hypothesenprüfung sowie die
-
Berichtsphase
mit der Verbreitung der Ergebnisse.
Schaubild
2-16: Arbeitsphasen in der empirischen Inhaltsanalyse
Schaubild
2-17: Ablaufmodell der Inhaltsanalyse nach Mayring
Besondere
Akzente werden dabei auf die Entwicklungsphase (Kategoriensysten), die
Pretestphase (Reliabilitätsprüfungen) die
Anwendungsphase (Codierung) und die Analysephase gesetzt.
C)
Erstellung eines Kategorienschemas.
Das
Kategorienschema ist das zentrale Element der Inhaltsanalyse. Dabei
sind folgende Schritte vorzunehmen:
-
Identifizierung
der relevanten Dimensionen der Fragestellung. Diese können
sich auf die Inhalte, aber auch auf formale Gesichtspunkte des
Textmaterials beziehen.
-
Zerlegung
des Textes in seine Einzelbestandteile, die sog.
Zähleinheiten. Diese sollen dem Kategorienschema zugeordnet
werden.
-
Auf
der Grundlage des 1. und 2. Schrittes werden Schlussfolgerungen
gezogen, die über das einzelne Dokument hinausgehen.
Das endgültige
Kategorienschema sollte folgende Eigenschaften
erfüllen:
-
Die Kategorien dürfen sich
nur auf eine Dimension beziehen, nie auf mehrere.
-
Die Kategorien müssen
einander ausschließen.
-
Die Kategorien müssen
vollständig und hinreichend klar definiert sein.
-
Jede Zähleinheit muss sich
einer definierten Kategorie zuordnen lassen.
Die Anforderungen an
inhaltsanalytische Kategoriensysteme (vgl. Holsti1969, S. 95, Merten
1983, S. 95-101) lassen sich wie folgt zusammenfassen:
-
Das Kategoriensystem muss aus den
Untersuchungshypothesen theoretisch abgeleitet sein.
-
Die Kategorien eines
Kategoriensystem müssen voneinander unabhängig sein
(d.h. sie dürfen nicht stark miteinander korrelieren). Das ist
besonders für die statistische Auswertung wichtig.
-
Die Ausprägungen jeder
Kategorie müssen vollständig sein.
-
Die Ausprägungen jeder
Kategorie müssen wechselseitig exklusiv sein, sie
dürfen sich nicht überschneiden und müssen
trennscharf sein.
-
Die Ausprägungen jeder
Kategorie müssen nach einer Dimension ausgerichtet sein
(einheitliches Klassifikationsprinzip).
Das
spezielle Vorgehen sei kurz an einem Beispiel zu
Thema „Gewalt im Fernsehen im Blick der Medien“
verständlich gemacht (umfangreichere Beispiele finden sich im
nächsten Arbeitsschritt).
Dieses
Thema soll mittels zweier Aspekte bearbeitet werden: den Arten der
dargestellten Gewalt und den beteiligte Akteuren.
Bezüglich
des ersten Aspekts sollen die in der Literatur zu findenden zwei
Dimensionen untersucht werden: die „Non-fiktionale
Gewalt“ und die „Fiktionale Gewalt“
Die beteiligten Akteure sollen nach
Produzenten von Gewalt und Konsumenten von Gewalt unterschieden werden.
Gegenstand
der Inhaltsanalyse sei die folgende Pressemitteilung:
„Der
Rundfunkrat stellt einen zunehmenden Anteil von Gewaltdarstellungen in
den Spielfilmanteilen fest. Die Ursachen liegen einerseits in dem
Verlangen vor allem junger Zielgruppen nach Filmen mit entsprechenden
Inhalten. Andererseits geben in Zeiten härteren Wettbewerbs
Intendanten und Geschäftsführer der Sender diesem
Kundenverlangen besonders nach. Doch auch Nachrichtensendungen zeigen
immer mehr gewaltsame und gewalttätige
Darstellungen“.
Zur
Analyse dieses Textes wurde folgendes sehr einfaches Kategorienschema
entwickelt:
Tabelle 2-5:
Kategorienschema zum Thema Gewalt im Fernsehen
D) Auswertung der
Ergebnisse
Für die Auswertung der
codierten d.h. den Kategorien zugeordneten Zähleinheiten sind
folgende Verfahren möglich:
1. Die Frequenzanalyse
Bei Frequenzanalysen interessiert
lediglich, wie häufig Zähleinheiten den Kategorien
des Kategorienschemas zugeordnet werden konnten. Die Frequenzanalyse
unterstellt, dass die Häufigkeit, mit der bestimmte Kategorien
in den Texten auftauchen, ein Indikator für die Wichtigkeit
der Kategorie bezüglich der Untersuchungsfrage ist.
In einer frühen
Inhaltsanalyse New Yorker Zeitungen (Speed 1895) wurden die
Themenschwerpunkte verschiedener N.Y.er Zeitungen vom 16.4.1983
untersucht. Gemessen wurde die Artikelfläche, aufgeteilt nach
Rubriken.
Tabelle 2-6:
Inhaltsanalyse von New Yorket Tageszeitungen (1883)
2. Die Valenzanalyse
Bei der Valenzanalyse interessieren
nicht nur die reinen Häufigkeiten, sondern auch inhaltliche
Bewertungen der Kategorien. Das Kategorienschema hat also zu
berücksichtigen, dass in den Aussagen eine bestimmte Tendenz
(positiv, negativ) zum Ausdruck kommt, oder ob die Aussagen neutral
sind. Eine Valenzanalyse prüft also auch, ob sich in der
Zähleinheit (z.B. einem Satz) eine Bewertung des Themas
ausdrückt:
Schaubild 2-17: Aufgaben
der Valenzanalyse
Valenzanalyse
3. Die
Intensitätsanalyse
Intensitätsanalysen sind
erweiterte Valenzanalysen. Zusätzlich werden die
identifizierten Bewertungen von den Vercodern nach ihrer
Intensität eingeordnet. Dadurch ist es möglich, nicht
nur Bewertungstrends aufzudecken, sondern auch zu erfassen, wie stark
das Textmaterial eine positive und negative Tendenz aufweist. Z.B.
könnte man zeigen, dass zwar gleich viele positive und
negative Aussagen zu finden waren, die besonders negativen Aussagen
aber häufiger vorkamen als die besonders positiven.
Schaubild 2-18: Aufgaben
der Intensitätsanalyse
Intensitätsanalyse
4. Die Kontingenzanalyse
Die Kontingenzanalyse codiert, in
welchem Zusammenhang ein sprachliches Element mit anderen sprachlichen
Elementen in einem Text auftaucht. Wird z. B. in einem Text nach
Aussagen zur Gewalt und nach der Bewertungen von Gewalt gesucht, so
erfasst die Kontingenzanalyse zusätzlich, mit welchen anderen
Aussagen die Gewaltaussagen im Zusammenhang steht. Dies könnte
z. B. mit aussagen über das Geschlecht der Fall sein
(geschlechtsspezifische Gewalt) oder mit Aussagen über das
Alters (Jugendgewalt, Gewalt unter Älteren).
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