Konzepte und Definitionen im Modul Das Experteninterview
A) Funktion und Form
des Experteninterviews
Ein Experteninterview ist
„ein Interview mit einer Person, die mit Hinblick auf ihren
Status als Experte oder Expertin befragt wird, also als Person, die
über spezialisiertes Wissen und dadurch im Allgemeinen auch über
(meist: institutionell geregelte) Entscheidungskompetenzen verfügt.“
(ILMES-Internet-Lexikon der Methoden der empirischen Sozialforschung
W. Ludwig-Mayerhofer, ILMES Last update: 30 Oct 2004)
Das Erkenntnisinteresse im
Experteninterview ist auf einen „klar definierten
Wirklichkeitsausschnitt“ des Expertentums gerichtet. Der
Experte ist nicht als Gesamtperson mit seinen Orientierungen und
Werten sondern als wichtiges Glied in einem„organisatorischen
und institutionellen Gesamtzusammenhang“ von Bedeutung.
Abbildung 2-6: Funktion
des Experteninterviews (1)
Tabelle 2-2:
Funktion des Experteninterviews (2)
Nach Pfadenhauer taugt das
ExpertInneninterview "weit weniger als Instrument zur
'schnellen', die Zeitaufwendungsbemühungen der Teilnahme
sozusagen kompensierenden Datengenerierung [...], denn als eine Art
'Surplus'-Verfahren, dessen kompetente Verwendung hohe
Feldkompetenzen – und hohe Feldakzeptanz – bereits mehr
oder weniger [voraussetzt]" (Michaela PFADENHAUER, aus:
Alexander Bogner, Beate Littig & Wolfgang Menz (Hrsg.) (2002).Das
Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung VS Verlag für
Sozialwissenschaften, S.128).
Abbildung 2-7: Verortung
des Experteninterviews in der empirischen Sozialforschung
Das Experteninterview ist
wie das Interview auch ein reaktives Verfahren. Die Datenerhebung
erfolgt durch Befragung/Interview und ist i.d.R. ein
teilstandardisiertes Leidfadeninterview. Allerdings ist in
Abhängigkeit von der Zahl der befragten Experten auch
standardisiert oder narrativ denkbar. Es kann als eigenständiges
Verfahren oder zur Methodentriangulation (Kreuzvalidierung)
zusätzlich zu einem anderen Verfahren eingesetzt werden.
B) Definition und
Auswahl des/r Experten
Experten sind also
Personen, die eine Sache besonders gut kennen, weil sie sich
beruflich damit beschäftigen, weil sie sich sehr dafür
interessieren oder schon oft damit befasst haben oder weil sie als
Repräsentant einer Organisation oder Institution befragt werden.
Experte nach Meuser, u.a.
ist:
-
„wer in
irgendeiner Weise Verantwortung trägt für den Entwurf, die
Implementierung oder die Kontrolle einer Problemlösung oder
-
„wer über
einen privilegierten Zugang zu Informationen über
Personengruppen oder Entscheidungsprozesse verfügt.“
(vgl.: Meuser, Michael &
Nagel, Ulrike (1991).ExpertInneninterviews – vielfach erprobt,
wenig bedacht. Ein Beitrag zur qualitativen Methodendiskussion. In
Detlev Garz& Klaus Kraimer(Hrsg.), Qualitativ-empirische,
Sozialforschung. Konzepte, Methoden, Analysen. (S.441-471). Opladen:
Westdeutscher Verlag, S. 443)
Experten nach BOGNER, u.a.
sind Personen:
…"die sich
–ausgehend von spezifischem Praxis- oder Erfahrungswissen, das
sich auf einen klar begrenzbaren Problemkreis bezieht –die
Möglichkeit geschaffen haben, mit ihren Deutungen das konkrete
Handlungsfeld sinnhaft und handlungsleitend zu strukturieren"
(vgl.: Alexander Bogner,
Beate Littig& Wolfgang Menz (Hrsg.) (2002).Das Experteninterview.
Theorie, Methode, Anwendung, VS Verlag für Sozialwissenschaften,
S. 45)
Bei der Vorbereitung des
Interviews sind gezielt solche Experten auszusuchen, die durch
Sachauskünfte die vorhandenen Informationslücken schließen
können. Bei der Kontaktaufnahme oder im Vorgespräch ist
darüber hinaus zu klären, ob der mögliche
Gesprächspartner wirklich ein Experte für das Thema ist.
C) Vorbereitung und
Durchführung der Interviews
Bei einem
Experteninterview handelt es sich um eine Gesprächssituation,
d. h. der Gesprächspartner wird sich immer wieder von der
Fragestellung entfernen, wird ins Plaudern geraten, wird
Einzelheiten erzählen, die Sie überraschen oder
faszinieren, die aber gar nicht zum Thema gehören müssen.
Der Experte wird auch
vieles nicht so deutlich und verständlich benennen, wie Sie es
erwartet oder erhofft haben. Versuchen Sie dann, sich von dem
Fragenkatalog zu lösen und auf die Antworten einzugehen.
Bringen Sie den Experten aber auch zum Thema zurück, stellen
Sie eine Frage noch einmal, fragen Sie nach, wie die Antwort gemeint
war.
Bereiten Sie die Gespräche
sorgfältig inhaltlich und organistorisch vor.
1. Inhaltlichen
Vorbereitung und Durchführung der Interviews
Dazu ist die Entwicklung
eines schriftlichen Gesprächsleitfadens sinnvoll.
Aufgabe des Leitfadens ist es, die Themenauswahl für das
Experteninterview zu beschränken. Dies hat eine fokussierende
Wirkung auf Interview und Auswertung. Ferner ist der Leitfaden
vielseitig einsetzbar und garantiert im Falle der Wiederholung
vergleichbare Ergebnisse.
Bei der Erstellung und dem
Einsatz des Leitfadens sind folgende Aspekte zu beachten:
-
Arbeiten Sie sich in
das Thema ein und sammeln Sie Hintergrundwissen, um Sicherheit für
Ihr Gespräch zu gewinnen.
-
Legen Sie fest, welche
Aspekte in dem Gespräch behandelt werden sollen.
-
Schreiben Sie Ihre
Fragen an den Experten wörtlich auf und bringen Sie diese in
eine sinnvolle Reihenfolge.
-
Versuchen Sie die
Kernfragen in der ersten Gesprächshälfte zu platzieren,
damit diese nicht »verloren« gehen.
-
Vermeiden Sie dabei
Fragen, die mit »ja« oder »nein« beantwortet
werden können, besser eignen sich die so genannten W-Fragen
(»Wie…?«, »Warum…?« »Woher
…?«).
2. Organisatorische
Vorbereitung und Durchführung der Interviews
Dabei sind folgende Punkte
zu beachten:
-
Vereinbaren Sie
Termin, Ort und zeitlicher Rahmen des Treffens.
-
Vereinbaren Sie die
Anzahl der Gesprächsteilnehmer (möglichst gleich viele von
Experten- und Interviewer-Seite)
-
Verabreden Sie vorher,
wer von Ihnen die Gesprächsleitung übernimmt.
-
Falls Tonbandaufnahmen
geplant sind, erfragen Sie, ob das Gespräch auf Tonband oder
Video aufgenommen werden kann.
-
Wenn Sie zu mehreren
interviewen: Bestimmen Sie eine(n) aus der Gruppe, der/die die
Antworten stichwortartig mitschreibt, selbst wenn das Gespräch
zusätzlich aufgezeichnet wird. Dann sind Sie abgesichert, falls
die Technik doch versagt, und Sie haben schon einen ersten
schriftlichen Überblick über das Gespräch, ohne immer
eine vollständige Kassette abhören zu müssen.
-
Versuchen Sie
folgenden Gefahren beim Experteninterview auszuweichen:
-
Der Experte blockiert
das Interview
-
Persönliche
Motivation des Experten schlagen durch (Wahrheitsgehalt).
-
Häufiger
Rollenwechsel des Experten ins Persönliche.
-
Bedenken Sie aber
auch: der Forscher hat meist keinen Einfluss auf diese „Störungen.
D) Auswertung der
Interviews
Ziel der Auswertung ist es
die Gemeinsamkeiten in den Aussagen der Experten herauszuarbeiten.
Das Problem bei nicht standardisierten Interviews ist, dass jedes
Interview mehr oder minder einzigartig ist. Vorzusehen ist deshalb
eine offene aber leitfadenorientierte Methode der Auswertung.
Voraussetzung dazu ist eine Vergleichbarkeit der Textergebnisse,
hergestellt durch das leitfadengestützte Interview.
Werten Sie das Gespräch
aus, wenn die Eindrücke noch frisch sind. So ist gesichert,
dass sich der Experte noch an Sie erinnern kann, wenn Sie ihn
anrufen, um das eine oder andere Detail nachzufragen.
Überprüfen Sie
anhand des Fragenkatalogs bzw. des Leitfadens, welche Antworten Sie
erhalten haben und welche Fragen offen geblieben sind.
Trennen Sie Wichtiges von
Nebensächlichem. Welche neuen Erkenntnisse haben Sie gewonnen?
Verschriftlichen Sie die wichtigsten Passagen aus dem
Experteninterview. Bei längeren Interviews ist es sinnvoll, die
Aussagen nach Themen oder Problemkreisen zusammenzufassen.
Diskutieren Sie: Stimmen
die Informationen, die Sie erhalten haben, mit denen überein,
die Sie bereits hatten? Wo vertreten mehrere Experten die gleichen
oder aber unterschiedliche Meinungen? Wie lassen sich mögliche
Widersprüche erklären? Lassen sie sich aufklären bzw.
beseitigen?
Auch wenn Sie keine
befriedigenden Antworten oder Erklärungen finden, sollten Sie
auf jeden Fall beim Abfassen der Arbeit auf solche offenen Fragen und
Widersprüchlichkeiten hinweisen.
Für die konkrte
Auswertung schlagen Meuser/Nagel (1991) folgende Strategien und
Auswertungsschritte vor:
-
Transkription
der Protokolle bzw. Tonbandaufzeichnungen (keine vollständige
Auswertung des Materials, Pausen, Stimmlagen werden nicht
untersucht)
-
Paraphrase
(=erklärende und verdeutlichende Umschreibung der Aussagen):
Aussagen der Experten sollen textgetreu und in chronologischer
Reihenfolge wiedergegeben werden; nicht selektiver Charakter;
protokollarisch auf den Inhalt gerichtet. „...die häufigsten
Sünden sind, Inhalte durch voreiliges Klassifizieren zu
verzerren und Information durch eiliges Themenraffen zu
verschenken.“(Meuser/Nagel, S. 457)
-
Reduktion durch
Überschriften: Paraphrasierte Passagen werden sortiert und
mit Überschriften versehen.
-
Bereichspezifische
Analyse des Materials: Überschriften geben eine Übersicht
über die Kernaussagen des Experten; Terminologie des Experten
wird beibehalten
-
thematischer
Vergleich: Basis dieser Phase der Verdichtung des Materials ist
die Gesamtheit aller geführten Interviews, Mithilfe der
Überschriften werden die vergleichbaren Textabschnitte
zusammengefügt. Ziel: Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede
zwischen den Interviews sollen aufgezeigt werden
- theoretische
Generalisierung – Kategorienbildung: Ziel der Übertragung
in Kategorien ist die Organisation und Systematisierung der
Ergebnisse, nicht die Verallgemeinerung auf gesamtgesellschaftliche
Zusammenhänge.
„Der Prozess der
Kategorienbildung impliziert ein Subsummieren von Teilen unter einen
allgemeine Geltung beanspruchenden Begriff, andererseits ein
Rekonstruieren dieses allgemeinen, für den vorgefundenen
Wirklichkeitsausschnitt gemeinsam geltenden Begriffs.“
(MEUSER/NAGEL, S. 462).
Bei diesem rekonstruktiven
Vorgehen werden Sinnzusammenhänge zu Typologien und zu Theorien
verknüpft und zwar dort, wo bisher Addition und pragmatisches
Nebeneinander geherrscht haben.“ (MEUSER/NAGEL, S. 464)
E) Mögliche
Resultate:
zu diskutieren bleibt...
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