Konzepte und Definitionen im Modul Die Befragung
Die Befragung stellt in ihren
verschiedenen Ausgestaltungen die gebräuchlichste und
methodologisch am besten erforschte Erhebungsmethode der empirischen
Wirtschafts- und Sozialforschung dar. Eine Definition des Interviews
als Instrument der Datensammlung nach Erwin K. Scheuch (Das Interview
in der Sozialforschung, in: Handbuch der empirischen Sozialforschung,
Band 2, S. 70f) lautet:
„Unter Interview als
Forschungsinstrument sei hier verstanden ein planmäßiges
Vorgehen mit wissenschaftlicher Zielsetzung, bei dem die
Versuchsperson durch eine Reihe gezielter Fragen oder mitgeteilter
Stimuli zu verbalen Informationen veranlasst werden soll.“
In dieser Definition werden zwei
wesentliche Aspekte des Verfahrens angesprochen:
-
Das Interview ist als
reaktives Messinstrument zu bezeichnen.
-
Die daraus gewonnenen Daten
sind das Ergebnis eines komplexen Kommunikationsprozesses.
A) Die sozialen Dimensionen der
Befragung
Eine Antwort auf eine
Interviewfrage ist immer auch eine Reaktion des Befragten auf die
soziale Situation „Interview“ und den Interviewer. Diese
soziale Situation weicht im Interview von einer üblichen
Kommunkation in folgenden Punkten ab:
-
Interviewer und Befragte sind
„Fremde“
-
Ihre Beziehung ist
asymmetrisch
-
Die Befragung ist folgenlos
für den Befragten
Besonders ausgeprägt ist
diese Abweichung von üblichen Kommunikationsformen im
standardisierten Interview :
Schaubild 2-1:
Kommunikationsformen im standardisierten Interview
Die „Theorie des Interviews“
setzt einerseits an informationstheoretischen und/oder
sozialwissenschaftlichen Modellen der Kommunikation und Interaktion
an, versucht andereseits die Störungen des Ablaufs durch die oa
Abweichungen innerhalb dieser Modelle zu erfassen und aufzufangen.
Zur Beschreibung und Analyse
dieser Kommunikationsform, die sowohl verbale wie nonverbale
Interaktionselemente aufweist, werden in der Literatur verschiedene
formale und inhaltliche Kommunikationsmodelle verwendet um die
folgenden Abläufe zu schematisieren:
-
Der Forscher benötigt
Daten zum sozialen Sachverhalt S.
-
Er entwickelt den Gedanken
G1.
-
Er verbalisiert G1 mit dem
Wortlaut der Frage W1.
-
Der Interviewer übermittelt
den Wortlaut der Frage W1 an den Befragten.
-
Der Befragter hört W1
und bildet sich seine Vorstellung darüber im Gedanken G2.
-
Aufgrund seiner Vorstellung
von G2 denkt der Befragte seine Antwort G3.
-
Der Befragte übersetzt
G3 in den Wortlaut einer Antwort W2.
-
Der Interviewer hört W2
und protokolliert W2 im Fragebogen
-
Der Forscher liest Antwort
W2, formuliert seine Vorstellung darüber im Gedanken G4
-
Er interpretiert W2 als
Indikator für S.
Diese Abfolge von Reflexionen und
Reaktionen lassen sich auf der formalen Ebene als
Stimulus-Response-Modell darstellen:
Abbildung 2-2:
Empfänger-Sender-Modell (Stimulus-Response-Modell)
Inhaltlich stellt es sich als
soziales Interaktionsmodell mit kognitiven, emotionalen und
rationalen Dimensionen dar:
Abbildung 2-3: Der soziale
Interaktionsprozess
Quelle: Atteslander(1995: 143)
Die kognitive Dimension wird in
der folgenden Tabelle nochmals vertieft:
Tabelle 2-1: Aspekte der
kognitiven Dimension des Interviews
Die Frage, ob sich das Interview
als sozialer Interaktionsprozess so gestalten läßt, dass
die Antworten der Befragten gültige Informationen über den
Objektbereich liefern, ist nach der aufgewiesenen formalen und
inhaltlichen Komplexität des Prozesses, alles andere als
trivial. Ein ganzes Bündel von Störfaktoren läßt
sich mit Diekmann (2003, S. 403) benennen, welches die Ergebnisse
des Interviews zum Artefakt werden läßt:
Abbildung 2-4:
Antwortverzerrungen im Stimulus-Response Modell nach Diekmann
Quelle: Andreas Diekmann:
Empirische Sozialforschung, Grundlagen, Methoden Anwendungen, 10.
Auflg. Reinbek 2003, S. 403
Ob und wie weit das Interview von
verzerrenden Einflüssen frei gehalten werden kann hängt
davon ab:
-
wie weit sich die verbalen
und nonverbalen Kommunikationsformen des Feldes von von denen des
Interviews unterscheiden bzw. wie weit es gelingt, letztere an die
ersten anzugleichen,
-
wie weit die Thematik des
Interviews von einer Alltagsproblematik abweicht bzw. wie weit es
gelingt, im Interview das für die jeweilige Thematik notwendige
Vertrauen herzustellen und
-
welche Art von Informationen
auf die einzelnen Fragen erwartet werden.
B) Die Befragungsformen
Insgesamt stehen zur
Erzeugung möglichst gültiger und zuverlässiger Daten
eine Reihe von Befragungsformen und -techniken zur Verfügung,
deren Ausgestaltung sowohl vom anzusprechenden Personenkreis wie von
den Frageinhalten abhängig zu machen ist.
Der erste
Aktionsparameter für die Gestaltung des Fragebogens betrifft die
Bestimmung der Befragungspersonen. Zu klären ist, ob die
Erhebungsobjekte, d.h. die Personen über die Informationen
gesammelt werden sollen, selbst befragt werden können oder ob es
besser ist, eine andere Person (Angehöriger/Experte)
anzusprechen. Unter Umständen ist es auch angebracht eine Gruppe
von Personen (Arbeitsteam, Haushalt) gemeinsam zu interviewen.
Der zweite
Aktionsparameter zielt auf die Festlegung der Befragungsformen.
Für die formale Gestaltung der Befragung stehen folgende
Optionen zur Verfügung:
Schaubild 2-2: Befragungsformen
im Interview
In einem komplexen Erhebungsdesign
können durchaus verschiedene Formen des medialen Zugangs und der
Standardisierung kombiniert werden, wenn dadurch Kosten minimiert
oder spezielle Fragestellungen besser transportiert werden können.
Auch bezüglich der Periodizität und der Auswahl der
Befragungsobjekte gilt es in der Regel, eine Balance zwischen
Untersuchungsertrag und -kosten zu finden. Die folgende Abbildung
veranschaulicht uns systematisiert die verschiedenen
Kombinationsmöglichkeiten:
Abbildung 2-5:
Typen der Befragung
Von den hier aufgeführten
Befragungsformen wird im Folgenden vor allem auf das (teil-)
standardisierte Interview Bezug genommen. Dem Experteninterview wird
wegen seiner besonderen Aufgabenstellung danach ein eigenes Modul
gewidmet.
C) Die inhaltlichen
Dimensionen der Befragung
Die vorgesehenen bzw. erwarteten
Informationen stellen für die einzelnen Befragten
unterschiedlich sensible und auch unterschiedlich schwierige
Kategorien dar.
Schaubild
2-3: Frageinhalte im Interview
Die Art der Fragen macht jeweils
eine spezifische und sorgfältige Ausgestaltung der Fragen und im
standardisierten Interview auch der Antwortvorgaben erforderlich.
Dies wird mit der folgenden weiteren Ausdifferenzierung des obigen
Katalogs deutlich.
1. Fragen nach
Wissen/Überzeugungen (beliefs)
Fragen zur Überzeugung heben
darauf ab, ob jemand glaubt, dass etwas wahr oder falsch ist, d.h.
was subjektiv für wahr/falsch gehalten wird. Thematisiert wird
in den Fragen die Wahrnehmung vergangener, gegenwärtiger und
zukünftiger Realität:
-
„Was meinen Sie: Hat
bei uns heute jeder die Möglichkeit, sich ganz nach seiner
Begabung und seinen Fähigkeiten auszubilden?“
-
„Glauben Sie, dass XYZ
nach der nächsten Bundestagswahl noch Bundeskanzler/in ist?“
2. Fragen nach
Einstellungen/Meinungen (attitudes)
Einstellungsfragen unterscheiden
sich von Überzeugungsfragen dadurch, dass sie darauf abzielen,
was wünschenswert ist (oder auch nicht). Thematisiert werden die
normativen Präferenzen: sollte/sollte nicht sein;ist
erwünscht/unerwünscht:
-
„Und wie ist Ihre
Meinung zu der folgenden Aussage: Der Mann und die Frau sollten
beide zum Haushaltseinkommen beitragen?
-
„Welche Partei würde
Ihrer Meinung nach am besten die Arbeitslosigkeit bekämpfen“
3. Fragen nach Verhalten von
Befragten (behaviour)
Diese Fragen zielen auf
tatsächliches Verhalten oder auf Verhaltensabsichten in
hypothetischen Situationen (was wäre wenn..) ab:
4. Fragen nach Eigenschaften
von Befragten (attributes)
Merkmalsfragen beziehen sich auf
die Eigenschaften der Untersuchungspersonen (bzw. Merkmalsobjekte),
wie deren Alter, Familienstand, Einkommen oder formale
Mitgliedschaften (Soziodemografie; etc):
„Wie hoch ist die Anzahl
der Beschäftigten Ihres Unternehmens“
D) Die Frageformulierung und
-abfolge
Alle
Gestaltungsmöglichkeiten können dazu genutzt werden, dem
Interviewten das Untersuchungsanliegen nahe zu bringen, die
Plausibilität des Interviewablaufs zu vermitteln und damit die
Antwortbereitschaft herzustellen und aufrecht zu erhalten.
Schaubild 2-4: Formulierungs-
und Gestaltungstechniken im standardisierten Interview
Bei der Formulierung
der Fragen ist vor allem auf Verständlichkeit und Neutralität
zu achten und den folgenden Gefahrenquellen aus dem Weg zu gehen:
Schaubild 2-5: Gefahrenquellen
im Interview
E) Die Makroplanung des
Erhebungsinstruments
Mit Makroplanung läßt
sich das Arrangement der verschiedenen inhaltlichen, formalen und
organisatorischen Dimensionen im Erhebungsdesign bezeichnen (vgl.
Konrad Klaus). Sie führt sozusagen zur Dramaturgie des
Befragungsprozesses und soll die Gültigkeit des
Gesamtergebnisses sichern.
Schaubild 2-6: Makroplanung des
Fragebogens
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