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Konzepte und Definitionen im Modul Wissenschafts- und erkenntnistheoretische Grundlagen
- Die
empirische Forschung gründet sich auf ein über alle unterschiedlichen
Positionen gemeinsames Paradigma der Wissenschaftstheorie:
- Die
Beobachtung der Realität ist für die Produktion von Wissen unverzichtbar.
- Zwei Fragen sind allerdings
zwischen den verschiedenen Schulen strittig:
-
- Wie ist die soziale Realität
beschaffen?
-
- Wie sollte sie beobachtet
werden?
- Je nach
wissenschaftstheoretischer Position fällt die Beantwortung unterschiedlich aus
und führt dann zu eher standardisierten oder zu eher offenen
Erhebungsverfahren und entsprechend zu eher quantitativen oder eher
qualitativen Analyseverfahren.
A) Die Positionen der analytisch- nomologischen
Wissenschaftsauffassung
- 1. Grundannahmen:
-
- Es gibt eine „real
existierende Welt“, die außerhalb und unabhängig von den Wahrnehmungen des
Beobachters existiert (erkenntnistheoretischer Realismus).
-
- Soziale Phänomene stellen Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge dar. Jedes
Ereignis (Auswirkung) wird durch eine oder mehrere Ursachen ausgelöst
(Kausalitätsprinzip).
-
- Ursache und Wirkung stehen
in einem gleich bleibenden Zusammenhang zueinander (soziales Gesetz). Sie
treten in veränderten gesellschaftlich-historischen Bedingungen in
unterschiedlichen Ausprägungen auf.
- 2. Ziele:
-
- Ziel ist das Entdecken
sozialer Gesetze, die Geltung ohne eine raum-zeitliche Einschränkung
beanspruchen (Raum-Zeit-Unabhängigkeit).
-
- Soziale Phänomene sollen
kausal, d.h. als Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge erklärt werden
(Kausalität).
- 3. Art der Beobachtung:
-
- Formulierung von Vermutungen
über die soziale Realität (Hypothesen),
-
- Festlegung des
Realitätsausschnitts, über den die Hypothesen etwas aussagen,
-
- Durchführung und
Aufbereitung von Beobachtungen in Form von Daten (Datenerhebung),
-
- Vergleich der Erkenntnisse
aus der Datenanalyse mit den Hypothesen
- 4. Prinzipien des
wissenschaftlichen Arbeitens:
-
Prinzip der
Wertneutralität,
-
Verlangt eine
sachlich-methodische Begründung,
-
Subjektive Werte und
Vorlieben dürfen nicht auf die Entscheidungen durchschlagen,
-
Prinzip der standardisierten
Messsituation ,
-
Verwendung identischer
Messinstrumente,
-
Erhebung unter möglichst
identischen Bedingungen (kontrollierte und gezielte Auswahl),
-
Prinzip der intersubjektiven
Nachprüfbarkeit,
-
Vollständige Dokumentation
und Begründung von Entscheidungen zur Sicherung der Nachvollziehbarkeit durch
andere,
-
Nachvollziehbarkeit sichert
Nachprüfbarkeit und damit Kommunikation.
5.
Arbeitsschritte
-
Formulierung
forschungsleitender Fragestellungen oder Hypothesen in
der konditionalen Struktur von „je..,desto“ bzw. „wenn…dann“-
Hypothesen,
-
Sprachliche Fixierung der
Beobachtungen in Beobachtungsaussagen,
-
Herstellung der
Messbarkeitseigenschaften und entsprechende Codierung,
-
Auswahl nach vorab
festgelegten Prinzipien,
-
Konstruktion standardisierter
Messinstrumente,
-
standardisierte
Datenerhebung,
- B) Die Position der interpretativ - interaktionistischen
Auffassung
- 1. Grundannahmen:
-
Es gibt eine
„real existierende Welt“, die außerhalb und unabhängig von den Wahrnehmungen
des Beobachters existiert (erkenntnistheoretischer Realismus).
-
Soziale
Situationen und soziales Handeln werden nicht durch unbegrenzt geltende
Gesetze bestimmt. Menschen verhalten sich gegenüber den Dingen ihrer Umwelt
entsprechend der Bedeutungen, die sie ihnen beimessen. Diese Bedeutungen
werden in Interaktionen mit anderen Personen durch Interpretationen entworfen
und den jeweiligen Situationen angepasst (Interpretatives
Paradigma).
-
Die Interpretationen bilden den Rahmen für die situationsspezifischen
Handlungen der Beteiligten.
- 2. Ziele:
- Keine Suche nach sozialen
Gesetzen, die es im Verständnis dieser Position nicht gibt,
sondern:
- Gewinnung möglichst
authentischer Erfahrungen
- Erfassung der
Situation
- Erfassung der subjektiven
Deutungen der Beteiligten
Abbildung 1-8: Interpretativ –
interaktionistisches Forschungsparadigma
-
-
-
- Versuch, die subjektiven
Situationsdeutungen der beteiligten Akteure zu verstehen und dadurch zum
Verständnis der Situationen und der in ihnen stattfindenden Handlungen zu
gelangen.
-
- Versuch von Typenbildung und
Formulierung von Aussagen höherer Allgemeinheit.
- 3. Art der Beobachtung:
-
- Zum Verständnis der
Situation und der Handlungen der Beteiligten sind zunächst alle Informationen
wichtig. Deshalb ist auch eine möglichst detaillierte Erfassung der Situation
sowie der subjektiven Situationsdeutungen der Akteure anzustreben.
-
- Alle Hypothesen und
Vorannahmen haben vorläufigen Status. Sie werden im Licht der gewonnenen
Erkenntnisse ständig revidiert und verändert. Die Hypothesen dürfen
insbesondere nicht zu Voreingenommenheiten bei den Beobachtungen führen.
-
- Der Forscher muss offen,
sensibel für alle möglicherweise wichtigen Informationen sein; die Wahrnehmung
sollte nicht durch Vorannahmen „gefiltert“ werden (Prinzip der
Offenheit).
-
- Präzise Hypothesen stehen
höchstens am Ende der Beobachtung.
- 4. Methodische Grundregeln:
-
- Prinzip der
Offenheit,
-
- Keine zu testende Hypothesen
über Zusammenhänge vor der Erhebung,
-
- Alle Annahmen sind
revidierbar,
-
- Berücksichtigung der
subjektiven Bedeutungen und Deutungen der Akteure,
-
- Erhebung im sozialen
Feld
C)
Leitmethodologie der analytisch- nomologischen Wissenschaftsauffassung:
Kritischer Rationalismus
- Aufgrund
seiner Bedeutung für die quantitative, empirisch-statistische
Forschungsmethodik sollen die Maxime des kritischen Rationalismus
ausführlicher vorgestellt werden. Diese Schule wurde von Sir Karl R. Popper (1902-1994) begründet. Die folgenden
zentralen Prinzipien der kritisch-rationalen Forschungsmethodologie finden
sich in seinem Hauptwerk: „Logik der Forschung“ von 1935 (K. Popper, Logik der
Forschung, S. 3):
-
„Alle Aussagen einer
empirischen Wissenschaft müssen – sofern sie unzutreffend sind – prinzipiell
an der Erfahrung scheitern können“
-
„Die Tätigkeit des
wissenschaftlichen Forschens besteht darin, Sätze oder Systeme von Sätzen
aufzustellen und systematisch zu überprüfen; in den empirischen Wissenschaften
sind es insbesondere Hypothesen, Theoriensysteme, die aufgestellt und an der
Erfahrung durch Beobachtung und Experiment überprüft werden“.
-
„die Aufgabe der
Forschungslogik (soll) darin bestehen ..., dieses Verfahren, die
empirisch-wissenschaftliche Forschungsmethode, einer logischen Analyse zu
unterziehen.“
Mit den in diesem Werk
entwickelten wissenschaftstheoretischen Prinzipien
-
etablierte sich der kritische
Rationalismus als Leitmethodologie der quantitativen empirischen
Sozialforschung,
-
liefert Popper die Konzepte
und Richtlinien für die quantitative Forschung und
-
stellt die Qualitätsmaßstäbe
auf, an der sich die quantitative empirische Forschung orientieren
soll.
Ziel empirischer Wissenschaften
ist es danach, empirische Aussagen zu formulieren und zu überprüfen. Daher ist
es wichtig, empirische Aussagen von nicht empirischen Aussagen abzugrenzen. Als
Abgrenzungskriterium dient im Kritischen Rationalismus die Falsifizierbarkeit
einer Aussage.
Falsifizierbarkeit
heißt: Die Aussage ist so zu formulieren, dass sie an der Realität überprüfbar
und bei nicht Zutreffen durch die Realität widerlegt („falsifiziert“) werden
kann.
Alle empirischen Aussagen
müssen prinzipiell an der Erfahrung scheitern können! Alle Aussagen, die
prinzipiell nicht scheitern können, sind keine empirischen Aussagen.
Alle Aussagen werden aus
logischen und ausserlogischen Begriffen konstruiert. Nach Prim/Tilmann (1973)
lassen sich die Aussagearten wie folgt gliedern:
- Abbildung 1-9: Aussagenlogik des kritischen
Rationalismus
In
Anlehnung an: Prim, Rolf / Tillmann, Heribert: Grundlagen einer
kritisch-rationalen Sozialwissenschaft, UTB für Wissenschaft,
1989, Heidelberg, Wiesbaden, 6.Auflage. S. 63ff.
- Das Einhalten
der obigen Falsifizierungsregeln erlaubt die intersubjektive Nachprüfung der
Ergebnisse und eröffnet so die Möglichkeit ihrer Kritik. Dies ist eine
notwendige Voraussetzung für die Objektivität der Forschungsergebnisse. „Die
Objektivität der Wissenschaft ist nicht eine individuelle Angelegenheit der
verschiedenen Wissenschaftler, sondern eine soziale Angelegenheit ihrer
gegenseitigen Kritik“ (K.R. Popper, Die Logik der Forschung, Kölner
Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie.Jg. 14, 1962, S. 240).
- Abbildung 1-10: Intersubjektive Nachprüfbarkeit
und Objektivität der Ergebnisse
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